Vielen läuft ein kalter Schauer über den Rücken, wenn sie das Wort Statistik hören. Manche müssen nur eine Klausur überleben, andere steigen während einer empirischen Abschlussarbeit tiefer in die Materie ein. Und dann gibt es noch diejenigen, für die Statistik zur täglichen Arbeit gehört (und die vielleicht sogar Spaß daran haben).
Es gibt viele Wege sich der Statistik zu nähern und sie zu meistern. Wir möchten euch in dieser Beitragsserie unsere (sehr unterschiedlichen) individuellen Wege zur Statistik beschreiben. Nach Alex und Michael schreibt in Teil 3 Sebastian:
Mein Weg zur Statistik verlief auch mit leichten aber trotzdem spannenden Umwegen. Im Studium hatte ich fast gar nichts damit zu tun. So richtig ernst wurde es das erste Mal in meiner Abschlussarbeit und ganz ähnlich wie Alex musste ich mir die statistischen Grundkenntnisse und Forschungsmethoden selbst aneignen. Leider kannte ich zu dieser Zeit an der Uni niemanden, mit dem ich mich hätte austauschen können, und so habe auch ich einige typische Anfängerfehler gemacht. Allerdings hat mir diese Erfahrung sehr geholfen, denn mir wurde klar, dass es meistens nicht den einen richtigen Weg in einem Forschungsprojekt gibt, sondern, dass man viele kleine Entscheidungen treffen und diese dann auch entsprechend gut begründen muss.
Die Sache mit dem Berliner Flughafen
Die Idee für meine Masterarbeit entstand recht früh im Masterstudium. In fast jeder Lehrveranstaltung seit meinem Studienbeginn hieß es: „Herr Früh schreibt ein Buch über Storytelling und Narration im Fernsehen und in Printmedien.“ Man kennt Prof. Werner Früh unter anderem als Autor des Standardwerkes „Inhaltsanalyse“.
Ich wollte mit meiner Masterarbeit auch zu diesem Forschungsschwerpunkt beitragen. Deswegen ging es in meiner Arbeit ganz konkret um die Wirkung von Narration und Storytelling in Printmedien. Ich habe untersucht, wie verschiedene Versionen eines Zeitungsartikels auf die Leser wirken, wie sie den Artikel verstehen, wem sie die Ursache des Beschriebenen zuschreiben und welche Folgen sie ableiten.
Als Stimulus habe ich damals einen Zeitungsartikel zur Eröffnung des Berliner Flughafens BER verwendet. Der Eröffnungstermin wurde verschoben. Das war im Jahr 2012 (!). Wer hätte gedacht, dass man den gleichen Artikel heute, mit veränderten Datum, noch mal verwenden könnte.
Aus jetziger Sicht betrachtet, würde ich meine Abschlussarbeit ganz anders gestalten und planen. Mit der Datenerhebung (wie, wen, wieviel) werden bereits sehr wichtige Entscheidungen für die Auswertung der Daten getroffen, was mir damals gar nicht so deutlich bewusst war. Auch die Bedeutung von Stichprobengroße, Teststärke und bestimmter statistischer Verfahren ist mir jetzt viel klarer. Es wäre doch schade, wenn am Ende einer Untersuchung immer noch Unsicherheiten in Bezug auf die Beantwortung der Forschungsfrage bestehen bleiben. Beispielsweise, wenn man sich nicht sicher sein kann, ob diejenigen, die eine bestimmte Version eines Films gesehen haben, wirklich mehr vom Inhalt als andere verstehen oder ob das nur die verzerrte Wahrnehmung des Forschers ist.
Augsburg – Dresden – Leipzig: Erfahrungen an drei Universitäten
Ich habe inzwischen als Mitarbeiter drei Universitäten gearbeitet und dabei gelernt, dass die Methoden- und Statistikausbildung sehr unterschiedlich verläuft. Die erste Station nach meinem Studium war die Universität Augsburg. Dort wurde ich gleich ins kalte Wasser geworfen und sollte ein Seminar zur einem Forschungsprojekt halten – Vorbereitungszeit eine Woche. Das war eine ziemlich aufregende Erfahrung und ich glaube, ich habe das damals ganz ok gemacht. Allerdings merkte ich, dass ich mich didaktisch weiterbilden muss, um wirklich gute Seminare zu geben.
Als ich dann auf eine Hochschulpaktstelle an die TU Dresden wechselte, habe ich mich deswegen gleich für die hochschuldidaktischen Kurse angemeldet und das sächsische Hochschuldidaktikzertifikat erworben.
Die Methodenausbildung in Dresden ist sehr gut und wird stark nachgefragt. Die Studierenden lernen sehr frühzeitig im Studienablauf die Befragung und die Inhaltsanalyse kennen und können sie später in Forschungsprojekten selbst anwenden. Dabei können sie sich selbst ausprobieren und auch Fehler (im geschützten Rahmen der Universität) machen – das finde ich sehr wichtig. Diesen tollen Anwendungsbezug erhalten leider nicht alle Studierenden an ihrer Hochschule. Damit müssen sie zum Teil erstmals in der Abschlussarbeit des Gelernte in die Tat und die Abschlussnote umsetzen, so wie ich damals in Leipzig.
Inzwischen bin ich seit über einem Jahr wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Leipzig mit meiner Spezialstrecke: Datenerhebung und Datenauswertung.
Für meine didaktische Herangehensweise wurde ich anfangs belächelt. Für mich steht das Verständnis im Vordergrund. Anstatt also nur langweilige Powerpoints mit vielen Gleichungen vorzulesen, gehe auch ab und zu nach draußen und nutze beispielsweise den Uni Innenhof als Fläche, um mit Steinen Koordinaten zu legen und Regressionsgeraden mit Kreide einzuzeichnen. An der TU Dresden hatte die Lehrredaktion dies in einem Artikel mit „Herr Stieler und die Sonne“ betitelt. Dies war für mich auch ein Lernprozess.
Der Segen/Fluch des Wissens
Egal an welchem Unistandort, habe ich von vielen Studierenden den Satz gehört: „Das brauche ich doch nie wieder.“ Meistens stellten genau diese Studierenden fest, dass es besser gewesen wäre, im Methoden- oder Statistikmodul mitzuarbeiten als sich ein halbes Jahr später die Kompetenz mühsam selbst anzueignen.
Man braucht einfach Methoden- und Statistikkompetenzen. Dabei ist es egal, ob man selbst ein Forschungsprojekt (bspw. eine Abschlussarbeit) bearbeitet oder auch nur andere Forschungsarbeiten verstehen muss. Wie sonst soll sonst einschätzen können, ob die Ergebnisse verlässlich sind.
Einen Nachteil hat die Arbeit mit den Methoden der empirischen Sozialforschung und Statistik ist allerdings – ich nenne es den Fluch des Wissens. Ich kann keinen Fragebogen mehr betrachten kann, ohne mir über die Item-Formulierung und Skalen Gedanken zu machen und keine Statistik mehr anschauen, ohne gleich nach Fehlern und Unstimmigkeiten zu suchen.
Aber ich glaube es gibt Schlimmeres 😉