Der Sprung ins kalte Wasser – wie bearbeitet man ein quantitatives Forschungsprojekt ohne Statistikkenntnisse?

Vielen läuft ein kalter Schauer über den Rücken, wenn sie das Wort Statistik hören. Manche müssen nur eine Klausur überleben, andere steigen während einer empirischen Abschlussarbeit tiefer in die Materie ein. Und dann gibt es noch diejenigen, für die Statistik zur täglichen Arbeit gehört (und die vielleicht sogar Spaß daran haben).

Es gibt viele Wege sich der Statistik zu nähern und sie zu meistern. Wir möchten euch in dieser Beitragsserie unsere (sehr unterschiedlichen) individuellen Wege zur Statistik beschreiben. Nach Michael schreibt in Teil 2 Alex über seinen individuellen Weg:

Die Lösung nehme ich gleich mal vorneweg: gar nicht. Das wurde mir leider sehr schnell klar, als ich in meinem Bachelorstudium plötzlich die Gelegenheit (und Verpflichtung) hatte, ein mittelgroßes Forschungsprojekt im Bereich der pädagogischen Psychologie durchzuführen. Im diesem Beitrag möchte ich euch zeigen, wie es dazu kam, wie meine ersten Erfahrungen mit empirischer Forschung aussahen und wie das meine heutige Perspektive auf empirische Forschung beeinflusst hat.

Erste Erfahrungen mit empirischer Forschung

Ich war im 6. Fachsemester meines Bachelorstudiums. Man muss dazu sagen, dass man als Lehramtsstudent in Leipzig während des Studiums nicht wirklich mit Statistik und empirischer Forschung in Berührung kommt. Meine Bachelorarbeit hatte zwar einen empirischen Schwerpunkt, allerdings ging es da maximal um den beschreibenden Vergleich von Mittelwerten. Ich hatte damals ein Unterrichtsdesign entwickelt, bei dem SchülerInnen der Klassenstufe 5 mit Kellerasseln das Experimentieren lernen sollten. Die SchülerInnen beobachteten die Kellerasseln, formulierten Hypothesen, beispielsweise über deren Lieblingsessen, und führten anschließend mehr oder weniger eigenständig Versuche durch, um ihre Hypothesen zu überprüfen. Ich habe vor und nach der Unterrichtseinheit die Experimentalkompetenz der SchülerInnen gemessen und ihre Entwicklungen beschrieben. An statistische Mittelwertvergleiche (z.B. t-Tests) war damals noch nicht zu denken.

Ich hatte gerade ein Exemplar der Bachelorarbeit an die Schulleitung weitergegeben, da erfuhr ich, dass die Schule einen groß angelegten Schulversuch plant. In diesem Schulversuch sollten verschiedene Mechanismen getestet werden, um das Interesse an naturwissenschaftlichen Fächern wie beispielsweise Biologie, Mensch-Natur-Technik oder Physik zu steigern. Für den Schulversuch wurde eine wissenschaftliche Begleitung gesucht, die regelmäßig das Fachinteresse der SchülerInnen messen und an das Thüringer Kultusministerium Bericht erstatten sollte.

Ahnungslos aber hoch motiviert

Eher durch Zufall kam ich ins Gespräch und da ich in absehbarer Zeit eine Masterarbeit schreiben musste, dachte ich mir „Win Win“, die Schule bekommt eine günstige wissenschaftliche Begleitung ihres Schulversuchs und ich bekomme ein Masterprojekt. Ich unterschrieb den Vertrag, war glücklich und hatte nicht einen Moment daran gedacht, was da noch für ein Berg Arbeit auf mich zukommt. Um es noch mal deutlich zu machen: Ich hatte keine Ahnung, auf was ich mich eingelassen hatte. Und da ich aus der Nummer nicht mehr rauskam und ich mich definitiv nicht blamieren wollte, musste ich mir einen guten Plan zurechtlegen.

Ich habe mir Literatur zusammengesucht, in der es um Interesse und andere relevante Konstrukte ging. Auf die Schnelle hatte ich ein Testinstrument gebastelt. Es war grauenhaft. Nicht zuletzt, weil ich noch keine Ahnung von Likertskalen, Skalenniveaus, Deckeneffekten usw. hatte. Zum Glück war Punkt 2 auf meiner To-Do-Liste: Sebastian kontaktieren. Ich kannte Sebastian aus dem Freundeskreis und wusste, dass er irgendwas mit Medien und empirischer Kommunikationsforschung macht. Rückblickend eine sehr gute Idee. Er erklärte mir, wie SPSS funktioniert, welche Qualitätskriterien ein Testinstrument erfüllen muss und wie der Datensatz aussehen soll. Ich bekam also erstmal einen Grundkurs in Methodenlehre und Statistik. Anschließend habe ich mich in die Bibliothek eingegraben, Bücher gelesen, Beispieldatensätze durchgeklickt und SPSS-Handbücher gewälzt.

Die Expertise kommt mit der Zeit

Dann ging es irgendwann wie von selbst und ich hatte das Gefühl, ich verstehe etwas von dem, was ich da tue. Skalenreliabilität und Hauptkomponentenanalyse waren keine Fremdwörter mehr und die ersten Leute fragten mich um Rat bei Ihren Masterarbeiten. Mit meiner eigenen Masterarbeit war ich sehr zufrieden, das Ministerium und die Schule offensichtlich auch und ich bekam einen Anschlussvertrag. Kurz darauf erhielt ich eine Stelle am Lehrstuhl für Biologiedidaktik der Universität Leipzig. Seitdem arbeite ich täglich mit Mixed-Methods Ansätzen und diversen qualitativ-rekonstruierenden Verfahren, unter anderem auch in meinem eigenen Promotionsprojekt und in der Betreuung von Bachelor-, Master- und Examensarbeiten. Durch meine anfänglichen Schwierigkeiten mit Statistik und Datenanalyse kann ich sehr gut nachvollziehen, wie sich meine Studierenden fühlen und welche Probleme auftreten, wenn sie das erste Mal alleine vor einer komplexen Forschungsfrage stehen und diese beantworten sollen.

Die meisten Fehler sind leicht zu vermeiden

Rückblickend betrachtet, habe ich durch dieses kleine Schlamassel am Ende des Bachelorstudiums einen Faible für Forschungsmethodik und Statistik entwickelt, der mich in vielen Forschungsprojekten begleitet und der mir vor allem dabei hilft, andere bei ihren Forschungsvorhaben kompetent zu unterstützen. Auf dem Weg hierhin habe ich drei wichtige Dinge gelernt:

  1. Such dir jemanden, der sich auskennt und sprich über dein Projekt. Das hat den Vorteil, dass man die Lücken im eigenen Denken schneller bemerkt, wenn man jemand anderem die Idee erklären muss. Außerdem wird der oder diejenige dich vielleicht vor den größten Dummheiten bewahren, weil er oder sie schon ähnliche Fehler gemacht hat oder jemanden kennt, der jemanden kennt, dem das passiert ist. Und da reicht auch manchmal so ein einfacher Tipp, wie „speichere von jeder Sitzung mit SPSS das Output, sonst findest du nie raus, welchen Fehler du genau gemacht hast.“
  2. Investiere lieber zu Beginn deines Projektes ein paar mehr Ressourcen (zeitlich und zur Not auch finanziell) in die Planung. Überlege dir genau, zu welchem Zeitpunkt, welche Fragen relevant werden, wann welche Daten kommen und wie du diese auswerten musst. Sonst gibt es am Ende Chaos, Stress und frustrierte Betreuer.
  3. Halte durch! Auch wenn am Anfang alles viel zu kompliziert erscheint und die vielen Begriffe und Rechenverfahren nur unverständliches Statistikdeutsch sind. Kleine Schritte, in der richtigen Reihenfolge, die richtigen Tipps und ein wenig Ausdauer helfen dir durch den größten Statistikdschungel.

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